Raktion, endomorphe

Ich möchte die Bezeichung „endomorphe Reaktion“ vorschlagen, für ein Phänomen das nach meiner Beobachtung bei Patienten die an chronischen Gemütskrankheiten leiden, öfters zu beobachten ist.

„In nahezu zwanzigjähriger klinisch- psychiatrischer Tätigkeit beobachten die Autoren folgendes Phänomen bei psychotischen Patienten:
Patienten beginnen massiv unter wieder auftretender psychotischer Symptomatik zu leiden. Allerdings unterscheidet sich die Symptomatik von der Symptomatik einer akuten Psychose bei Ersterkrankung in feinen Nuancen:

  • Obwohl massive Störungen des formalen Denkens vorliegen können, scheint der Patient doch in der Lage sich, insbesondere beim Umgang mit Mitpatienten, leidlich angepasst im kommunikativen Feld zu verhalten.
  • Obwohl über massive Halluzinationen geklagt werden kann, möglicherweise auch in Form imperativer Stimmen, ist der Patient in der Lage, sich beispielsweise bei Ausgängen hinreichend geordnet zu verhalten.
  • Obwohl eine massive Beeinträchtigung durch einen Wahn geklagt werden kann, erscheint es psychodynamisch nachvollziehbar, welche Personen in den Wahn einbezogen werden und welche nicht.
  • Klinisch fällt auf, dass oft die produktiv psychotische Symptomatik auch durch hohe Dosierungen entsprechender Psychopharmaka nicht gut beherrscht werden kann. Weiterhin fällt bei scharfer Beobachtung gelegentlich eine eigenartige situative Gebundenheit der Symptomatik auf, bei der häufig der Eindruck entsteht, dass die Symptomatik in einem kommunikativen Kontext eingebettet ist und oft recht klare Botschaften zu vermitteln scheint.

Auch in der älteren psychiatrischen Literatur sind derartige Beobachtungen schon geschildert worden und dort unter dem Begriff der „doppelten Buchführung“ von chronisch psychiatrisch erkrankten Patienten gefasst worden.
(Vergleiche Peters 1990, Bateson 1984 #, F. Farelly 1966, 1987, 1994)

Ein Denkmodell mag helfen, das beschriebene Phänomen besser zu verstehen. Möglicherweise kommt es bei Menschen, die im Sinne einer körperlichen Erkrankung an einer Psychose erkrankt sind, zu dem Effekt, dass das erkrankte Gehirn Erlebnisweisen „lernt“, die dem Gehirn eines gesunden Menschen nicht zur Verfügung stehen. Dies wäre vorstellbar etwa im Sinne einer Bahnung (James 1890, Exner 1894, Hebb 1949, Hebb 1969, Kandel R. 1996) von primär nicht vorhandenen synaptischen Verbindungen. Diese Erlebnisweisen stehen dem Gehirn in der Folge zur Verfügung, auch wenn nicht ursächlich eine Körperkrankheit im Hahnemannschen Sinne vorhanden ist. Denkbar ist es, dass derartige Erlebnisweisen dann zum Tragen kommen, wenn hohe psychische Konfliktspannungen zu einer Labilisierung der psychischen Situation des Patienten geführt haben.
Eine derartige Symptomatik, obwohl sie in ihrem Erscheinungsbild kaum von „krankheitsbedingter“ psychotischer Symptomatik zu unterscheiden ist, folgt in ihrem Auftreten, bzw. in ihrer Milderung den Hypothesen, die für die Behandlung von Patienten gelten, bei denen es primär unter dem Eindruck psychischer Konflikte zur Symptombildung gekommen ist. Symptomatisches Verhalten ist in so einem Fall dann nicht als momentane Stoffwechselentgleisung, als Transmitterüberschuss- oder Mangel in bestimmten Gehirnarealen zu verstehen, sondern wie bei „neurotischen“ Störungen, als Reaktion auf eine bestimmte psychische Situation zu sehen. Das Auftreten derartiger Symptome kann mit Hilfe einer verhaltenstherapeutischen Störungsanalyse (siehe unten), oder einer tiefenpsychologischen Deutung verstanden werden. Eine solche Symptomatik ist auch eher mit psychotherapeutischer Methodik zu beeinflussen, als durch den Einsatz von Psychopharmaka.“

(aus Gerke, Hock „Psychiatrie“ in Quak, Geissler (Eds.) „Leitfaden Homöopathie“ Elsevier 2009)